Agenda 2010

Im März 2003 stellte Gerhard Schröder das Programm zur Reformdes Sozialstaates „Agenda 2010“ vor. Die Schwerpunkte der Reform lagen in der finanziellen Situation derKommunen, der Finanzierung der Steuerreform sowie in den Bereichen Arbeit und Soziales, Gesundheitswesen und Renten. Ihr Ziel ist es, soziale Sicherheit und mehr Arbeitsplätze für alle zu schaffen, wirtschaftliches Wachstum zu fördern und solide Staatsfinanzen zu erreichen. Die „Gefahr von Armut und sozialer Ausgrenzung“ (BMAS 2005, S. 264) sollte verhindert werden. Personen und Haushalte „deren Einkommen oder Vermögen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht“ (ebd., S. 57), sollen durch das Bedarfssicherungsprinzip geschützt werden. Dies sollte sich nicht nur auf das physische Überleben auswirken, sondern auch auf die „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben“ (ebd.).

Maßnahmen

Die Reformmaßnahmen im Einzelnen enthalten verschiedene Eckpunkte. Um die Finanz- und Investitionskraft der Kommunen zu fördern, wurden die Zahlungen an die erwerbsfähigen Arbeitslosen ab sofort von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt. Gefördert werden sollten unter anderem die Branchen der Bauwirtschaft und des Handwerks. Die im Jahr 2000 eingeleiteten Steuerentlastungen, mit der Einführung der ersten Stufe, sollten fortgesetzt werden. Um die Konjunktur und die Beschäftigung zu fördern, war ein kommunales Investitionsprogramm aus Bundesmittelnvorgesehen.

Das Augenmerk der Reformagenda wurde auf den Arbeitsmarkt gerichtet. Mit der Hartz-Kommission, die nach ihrem Vorsitzenden Peter Hartz benannt worden ist, zielte die Reform auf entscheidende Veränderungen.

Die Hartz–Gesetze sind im Einzelnen:

  • Hartz I (Zumutbarkeitsregelung, Leiharbeitsregelung)
  • Hartz II (Mini-Job, Ich-AG, Midi-Job, Entlastung von Abgaben
  • Hartz III (Neuorganisation der Bundesagentur für Arbeit)
  • Hartz IV (Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe)

Sie wurden schrittweise zwischen 2003 und 2005 eingesetzt. Der Entschluss der Bundesregierung, jedem, der einen „Ausbildungsplatz sucht und ausbildungsfähig ist“ (Pilz 2004, S. 206), auch einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, sollte falls nötig mit einer Ausbildungsplatzabgabe durchgesetzt werden.

In der Gesundheitsreform zielte man auf eine bessere Finanzierung der medizinischen Leistungen. Sehr viele Katalogsleistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung wurden gestrichen. Ein Selbstkostenanteil von 2 % des Bruttojahreseinkommens (bei chronisch Kranken 1 %) wurde festgelegt sowie eine Erhöhung bei der Zuzahlung von Medikamenten. Mit der Einführung der Praxisgebühr muss man pro Quartal beim Hausarzt und Zahnarzt 10 € bezahlen. Der Grundgedanke der Gesundheitsreform bestand darin, die entstanden Kosten durch Beiträge der Versicherten zu finanzieren, damit würden die Lohnnebenkosten automatisch gesenkt.

Die andauernden Diskussionen um eine alternde Gesellschaft und den Rückgang der Geburtenrate hatten unumgänglich dazu geführt, die Rentenpolitik umzudenken. Durch den demografischen Wandel (Altersstruktur der Gesellschaft) mussten die steigenden Beitragszahlungen und die damit entstandene „Versorgungslücke durch private Vorsorge“ (Pilz 2004, S. 169) erweitert werden. Mit der Rentenreform von 2001 wurde auch die Riester-Rente eingeführt, die zuerst nur als Beitragsstabilisierung gedacht war. Doch die staatliche Förderung machte auch sie zu einem Thema in der öffentlichen Diskussion. Das war die eigentliche Neuheit der Reform: Das System zur Alterssicherung bewegt sich seither in die Richtung eines „Drei-Säulen-Systems, d. h. eines gesetzlichen, betrieblichen und privaten Systems“ (Pilz 2004, S. 170).

Konflikte und Kritik der SPD an der Umsetzung der Agenda 2010

Die ersten Gegner der Agenda 2010 fanden sich in der eigenen Partei. Einige Wochen nach der Regierungserklärung zur Agenda 2010 wurde eine Koalition ins Leben gerufen, die aus SPD-Basisgruppen, SPD-Parlamentariern und Gewerkschaftsvertretern bestand. Die Vorhaben der Bundesregierung - die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Finanzierung des Krankengeldes - stießen bei den genannten Gruppen auf heftigen Widerstand. Die SPD-Linke verwies auch auf Wahlversprechungen, denn diese wurden hier ihrer Meinung nach mit den Füßen getreten. Man befürchtete zudem, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu noch mehr Armut führen würde und mit diesem Schritt das Existenzminimum nicht gesichert werden könne. Die Kritiker befürchteten zudem einen Bumerangeffekt. Denn obwohl die Empfänger des Arbeitslosengeldes II einen Beitrag zur Alterssicherung bekommen, müssen sie damit rechnen, dass ein Teil ihres Privatvermögens bzw. ihrer Ersparnisse mit auf die Unterstützung angerechnet werden. Wenn aber weniger gespart werde, müsse der Staat mit dem zunehmenden Alter der Betroffenen mehr für eventuelle Leistungen aufwenden.

Widerstand der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften protestierten vor allem bei den Leistungskürzungen für Arbeitslose. Es wurde beanstandet, dass die Regierung eine Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose geplant und durchgeführt und zusätzlich noch die Beschneidung der Arbeitslosenhilfe in Angriff genommen hat. Dadurch seien die Lasten zwischen Sozialhilfeempfängern und besser Verdienenden ungleich verteilt. Das Armutsrisiko steige. Die Reform sollte erstmal an den zu hohen Lohnnebenkosten ansetzen, um sich im internationalen Vergleich zu bewähren, so die Meinung der Gewerkschaften. Des Weiteren gingen sie noch auf den historischen Bezug der „Privatisierung des Krankengeldes“ (Pilz 2004, S. 211) ein. Die Zahlung von Krankengeld war der erste und ursprüngliche Zweck der Krankenversicherung. Seit 1883 sollte diese Regelung Langzeitkranke und deren Familien unterstützen.

Fazit

Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass die Agenda 2010 für einige Menschen positive und für andere negative Auswirkungen hatte. So ist zwar die Arbeitslosenquote stetig gesunken, doch die Zahl der Menschen, die in Deutschland unter dem Existenzminimum leben, steigt. Die SPD versucht dies nun durch die Senkung der Lohnnebenkosten für Geringverdiener und durch die Mindestlohndebatte zu verhindern. Die CDU hingegen sieht die Agenda 2010 als veraltet an und würde gerne an der Reform nachjustieren. Die längere Auszahlung von Hartz-IV-Leistungen für Ältere bei gleichzeitiger Kürzung der Ansprüche von jungen Menschen ist einer der Verbesserungsvorschläge der CDU. Die Durchsetzung von Reformen in einer festgefahrenen Gesellschaft ist immer mit sehr vielen Hindernissen und Schwierigkeiten verbunden, deshalb bleibt es zunächst abzuwarten, was nach der Zeit der großen Koalition passiert und was die von manchen Politikern geforderte Agenda 2020 für neue Reformvorschläge mit sich bringt.

Quellen:

  • Pilz, Frank (2004): Der Sozialstaat: Ausbau-Kontroversen-Umbau. Bonn
  • BMAS: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg) (2005): Lebenslagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Berlin

Gregor Halupka
(Werkstatt "Armut in Berlin", WiSe 07/08 / SoSe 08)

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